Vom 28. – 29. Juli traf sich unsere tiefenhermeneutische Forschungsgruppe auf den Höfen Kroed 1+2. Wir bemühten uns um ein Resümee der gemeinsamen Arbeit in der ersten Jahreshälfte und planten das weitere Vorgehen.
Die Gruppe setzt sich weitgehend aus psychotherapeutisch erfahrenen, aber nur etwa zur Hälfte auch pferdeerfahrenen Teilnehmer*innen zusammen, die sich neben den produktiven theoretischen Gesprächen über ganz persönliche, intensive Pferdebegegnungen freuten. Einige der Kolleg*innen waren zunächst vor allem forschungsmethodisch (an dem in unserer Studie erprobten Modell partizipativer Psychotherapieforschung) interessiert, dann aber zunehmend begeistert von dem besonderen, sich aus dem Einbeziehen von Pferden für die Psychotherapie ergebenden Potenzial.
Neu in der Gruppe begrüßten wir Frau Dr. Heike Rettig, die als reitende Linguistin bereit ist, sich auf einen „Weltenwechsel“ einzulassen, ist sie doch in ihrer sonstigen Forschungsarbeit ausschließlich mit dem Manifesten, der Mikroanalyse körperlich, gestisch, mimisch sichtbaren und verbalen Kommunikation – u. a. den „Praktiken des Empathisierens in Reitunterricht und Pferdeausbildung“ (in: Sprache und Empathie, de Gruyter 2020) – befasst.
Seit Januar 2023 arbeiten wir (s. vorherige Beiträge unter ´Aktuelles´ und ´Forschung) als zwölfköpfige Forschungsgruppe zusammen, für die wir neben zwei an der Studie beteiligten Psychotherapeutinnen – Sabrina Groß (Miltenberg) und Sanna Heering (Hamburg) – sowie dem Team der SFU Linz um Prof. Dr. Thomas Stephenson – Agnes Stephenson (Ass. Prof.) und Katharina Geyer (Stud.) – die Kolleg*innen
- Dr. Angelika Papke (Berlin, Psychologische Psychotherapeutin, ehemals Pferdeprojekt der FU Berlin),
- Dr. Mario Schlegel (Zürich, Psychoanalytiker, ursprünglich Verhaltensbiologe, ehemals Vorsitzender der Forschungskommission der Schweizer Charta Institute),
- Prof. Dr. med. Eckhard Frick (München, Psychoanalytiker, Hochschule für Philosophie in München, Lehrstuhl für Anthropologische Psychologie, Leitung der Forschungsstelle „Spiritual Care“),
- Dr. med. Christoph Ammermann (Konstanz, Psychoanalytiker, Vorsitzender der Forschungskommission und Vorstand Lehre C.G. Jung Institut Zürich)
- Dr. med. Gerhard Vilmar (Rosenheim, Psychoanalytiker und Supervisor – in der ersten Jahreshälfte) und
- Dr. Heike Rettig (Linguistin am Institut für Germanistik / Sprachwissenschaft der Universität Koblenz/Landau – in der zweiten Jahreshälfte) gewinnen konnten.
Die Tiefenhermeneutik, in verschiedenen Lexika als „Kunstlehre des Sinnverstehens über den Zugang zum Unbewussten“ definiert, entstammt ursprünglich der Sozial- und Kulturforschung (A. Lorenzer) und wurde u.a. von einer Gruppe um H.-D. König auch für die psychotherapeutische Praxis weiterentwickelt. Untersucht werden manifeste und ´latente´ Inhalte in Texten, akademischen Arbeiten, Medienbeiträgen u.v.m.; in unserem Fall sind es die von Dr. M. Weiger und mir vorausgewählten Auszüge videodokumentierter, pferdegestützter Psychotherapiesequenzen.
Als wissenschaftlich zunehmend etablierte Methode nutzt die Tiefenhermeneutik die Subjektivität der Forschenden – ihre Affekte, Assoziationen, Fantasien – auf eine methodisch reflektierte Weise als zentrales Erkenntnisinstrument, um ´latente´ Bedeutungsebenen zu erfassen und sich einem Verstehen des ´Unsichtbaren hinter dem Sichtbaren´ anzunähern.
Latent sind in unserem Kontext auch die zu vermutenden ´Motivationen´ hinter dem beobachtbaren Verhalten der Pferde und die feinen, nicht-sprachlichen Resonanzphänomene mit ihrer potenziell sinnstiftenden Bedeutung für die Patientinnen. Die Begegnungen mit den Pferden – in aller Stille aber auch mitunter recht dynamisch – ließen für die Gruppenkolleg*innen die so unterschiedlichen Qualitäten individueller Beziehungsaufnahmen unmittelbar eindrucksvoll spürbar und erfahrbar werden.
Von Anfang an ließen wir professionelle Transkripte der videoaufgezeichneten Gruppensitzungen erstellen, um sie mit einer auf die ´Grounded Theory´ abgestimmten Software (F4 Analyse) weiter strukturieren, codieren und kategorisieren zu können. Auf diese Weise wird es möglich sein, nach Abschluss der Datenerhebung ab Ende des Jahres 2023 Daten aus allen Bereichen, wo immer es für den weiteren Auswertungsprozess sinnvoll erscheint, zusammenzuführen. Dies betrifft die Transkripte der tiefenhermeneutischen Interpretationsgruppe, die Verlaufsinterviews mit den Psychotherapeutinnen, die Abschlussinterviews mit den Patientinnen sowie sämtliche Video- Bild- und sonstigen Erhebungsinstrumente.
B. Heintz, im August 2023