Forschung

Studien 1 + 2 zur pferdegestützten Psychotherapie

Die Frage, „Was wirkt?“ vom Wesen der Pferde heilsam auf die Seele psychisch verletzter Kinder und Erwachsener beschäftigt uns, seitdem wir mit Pferden arbeiten.

Im Rahmen einer Pilotstudie, die methodisch möglichst „anschlussfähig“ an aktuelle Standards und wissenschaftliche Kriterien qualitativer Forschung konzipiert wurde, war unser wesentlichstes Anliegen, den hoch komplexen, weitgehend nonverbalen Beziehungsphänomenen in der psychotherapeutischen Arbeit mit den Pferden gerecht zu werden. Unser Studienkonzept war hinsichtlich des methodischen Vorgehens der Tiefendimension leib-seelischer Erfahrungen in der psychotherapeutischen Arbeit mit dem Pferd verpflichtet. Im Fokus stand der Versuch, das subjektive Erleben der Anwesenheit von Pferden in psychotherapeutischen Prozessen – ihre Resonanz, ihre Art der Beziehungsaufnahme, ihre Wirkungen auf den Therapieprozess etc. – sowohl seitens der PatientInnen als auch seitens der PsychotherapeutInnen über semistrukturierte Interviews und imaginative Verfahren zu erfassen und zu beschreiben.

Nach den ermutigenden Ergebnissen der Pilotstudie konzipierten wir eine Folgestudie zur Wirksamkeit pferdegestützter Psychotherapie in Kooperation mit der Sigmund Freud Universität (SFU) Linz, Studiengang Psychotherapiewissenschaft, Prof. Dr. Thomas Stephenson, und dem Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR).

Angestrebt wird die Evaluation von etwa fünfzehn pferdegestützten Psychotherapien im Einzelsetting. Die Verlaufsbegleitung findet in Form regelmäßiger, semistrukturierter Interviews (online) mit den Therapeutinnen statt. Möglichst fortlaufende Videoaufzeichnungen der Therapiesequenzen mit den PatientInnen am Pferd werden durch die TherapeutInnen selbst mit Bodycams durchgeführt. Interviews mit den PatientInnen sind – wie bei der Pilotstudie auch – nach Abschluss der Therapien vorgesehen. Die Studie wurde von der Ethikkommission der SFU Wien genehmigt, neun Psychotherapeutinnen und 13 Patientinnen (Stand September 2023) nahmen bisher teil.

Aufbau einer Literaturdatenbank als „Projekt im Projekt“

Im Mai 2022 begannen wir, mit Carlos Watzka und Studierenden des Studienganges Psychotherapiewissenschaft eine Literaturdatenbank zur pferdegestützten Psychotherapie, Trauma- und Heilpädagogik an der SFU aufzubauen, die wir bis zum Jahresende mit über zweitausend Titeln ab 1975 bestückten – Monografien, Zeitschriftenartikel und akademische Arbeiten, teilweise noch aus dem Bestand des „Pferdeprojekts“ der FU Berlin[1].

Tiefenhermeneutische Videoanalyse als zweites „Projekt im Projekt“

Im Herbst 2022 beschäftigten wir uns im Leitungsteam und an der SFU Linz mit den Möglichkeiten tiefenhermeneutischer Analysen und ihrer Relevanz für die qualitative Forschung im Allgemeinen und für unseren Ansatz im Speziellen. Mit unseren persönlichen Hintergründen, den Erfahrungen aus der Leitung von Balintgruppen, Gruppensupervisionen im Kontext der Analytischen Psychologie und der langjährigen Zusammenarbeit in einer auch der Prozessforschung verschriebenen Arbeitsgruppe mit pferdegestützt arbeitenden Kolleginnen lag es nahe, die weitere Auswertung unseres Datenmaterials (zumindest auch) im Rahmen einer tiefenhermeneutischen Interpretationsgruppe zu betreiben.

Die Tiefenhermeneutik entstammt ursprünglich der Sozial- und Kulturforschung (A. Lorenzer) und wurde u.a. von einer Gruppe um H.-D. König auch für die psychotherapeutische Praxis weiterentwickelt. Untersucht werden manifeste und ´latente´ Inhalte in Texten, akademischen Arbeiten, Medienbeiträgen u.v.m. Der Begriff des Latenten ist angelehnt an die Psychoanalyse Sigmund Freuds. Für unseren interdisziplinären psychotherapeutischen Kontext erschien es sinnvoll, diesen Latenzbegriff zu erweitern. Latent sind in unserem Kontext auch die zu vermutenden ´Motivationen´ hinter dem beobachtbaren Verhalten der Pferde, die feinen, körpersprachlichen Resonanzprozesse mit ihrer potenziell sinnstiftenden Bedeutung für die Patientinnen. Die Tiefenhermeneutik – als wissenschaftlich zunehmend etablierte Methode – „nutzt im Unterschied zu nahezu allen anderen qualitativen Auswertungsmethoden die Subjektivität der Forschenden – ihre Affekte, Assoziationen, Konflikte, Beziehungen, Fantasien, Wünsche – auf eine methodisch reflektierte Weise als zentrales Erkenntnisinstrument.“ (Haubl u. Lohl 2017). Unsere Videozusammenschnitte, d.h. die unter Abgleich mit den Narrativen der Therapeutinnen getroffene Auswahl der Szenen, implizieren bereits einen ersten, auf unserer subjektiven Vorerfahrung basierenden Auswertungsschritt. Uns interessierte das ´Unsichtbare hinter dem Sichtbaren´, das weitgehend nonverbale, intersubjektive therapeutische Geschehen zwischen drei Lebewesen, die unterschiedlichen Arten angehören.

Die Tiefenhermeneutik widmet sich dezidiert diesem Unsichtbaren und Opaken. Sie erkennt an, dass neben der Bedeutung des Manifesten im gemeinsam betrachteten Material bestenfalls eine Annäherung an Sinn und Wirkung, nicht aber deren Objektivierung möglich ist.  Die schließlich gemeinsam entwickelte Idee für ein zweites ´Projekt im Projekt´ sah vor, unsere vorausgewählten Videosequenzen an 20 zweieinhalbstündigen Sitzungsterminen im Jahr 2023 im Online-, Hybrid- und Präsenzformat tiefenhermeneutisch auszuwerten.

So fand sich eine zwölfköpfige Gruppe zusammen, für die wir neben uns als Leitungsteam und zwei an der Studie beteiligten Psychotherapeutinnen – Dipl. Soz.päd. Sabrina Groß (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Miltenberg), Dipl. Psych. Susanne Heering (Psychologische Psychotherapeutin, Hamburg) und dem Team der SFU Linz um Prof. Dr.Thomas Stephenson und Agnes Stephenson (Univ. Ass.) sowie Katharina Geyer (Stud.) – die Kolleg*innen

  • Dr. Angelika Papke (Berlin, Psychologische Psychotherapeutin, ehemals Pferdeprojekt der FU Berlin),
  • Dr. Mario Schlegel (Zürich, Psychoanalytiker, ursprünglich biologischer Anthropologe und Verhaltenswissenschaftler, ehemals Vorsitzender der Forschungskommission der Schweizer Charta Institute),
  • Prof. Dr. med. Eckhard Frick (München, Psychoanalytiker, Hochschule für Philosophie in München, Lehrstuhl für Anthropologische Psychologie, Leitung der Forschungsstelle „Spiritual Care“),
  • Dr. med. Christof Ammermann (Konstanz, Psychoanalytiker, Vorsitzender der Forschungskommission und Vorstand Lehre C.G. Jung Institut Zürich)
  • Dr. med. Gerhard Vilmar (Rosenheim, Psychoanalytiker und Supervisor, in der ersten Jahreshälfte) und
  • Dr. Heike Rettig (Sprachwissenschaftlerin am Institut für Germanistik der Universität Koblenz – in der zweiten Jahreshälfte) gewinnen konnten.

Für das zugrunde liegende Studienkonzept bitte die Schaltfläche unten anklicken! 

[1] Eine der ersten Einrichtungen, in der Pferde im Rahmen psychotherapeutischer Interventionen zum Einsatz kamen, war das Theorie-Praxis Projekt der Freien Universität Berlin (1985 bis 2005, Leitung: Prof. Dr. Siegfried Schubenz), das sogenannte Pferdeprojekt, dessen Vorläuferprojekte bis in die 1960er Jahre zurück reichen.

 

Wir danken der Heidehofstiftung, der Susan Bach Foundation (CH) und der Prof. Dr. Heicke Stiftung für die großzügige Förderung dieser Studie.

 

Letzte Publikationen: (s. auch entsprechende Unterseite!)

Heintz, B. (2021) Empathie auf vier Hufen – Einblicke in Erleben und Wirkung pferdegestützter Psychotherapie Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Heintz, B, Stephenson, A. (2021) Neue Studie zur pferdgestützten Psychotherapie in der ambulanten Praxis – Ein Projekt zeitgemäßer Psychotherapieforschung in:  DKThR Magazin Therapeutisches Reiten 2/2021 S. 10 – 11

Heintz, B. (2023) Pferdegestützte Psychotherapie – zwischen Mythologie, Praxis und Forschung Originalarbeit Spiritual Care 12 (1) S.17-26, De Gruyter, https://doi.org/10.1515/spircare-2022-0022

Heintz, B., Weiger, M. (2023) Was bewegt ein Pferd, zu einer Lösung beizutragen? Aktueller Stand der Folgestudie zur Wirksamkeit pferdgestützter Psychotherapie in der ambulanten Praxis in: DKThR Magazin Therapeutisches Reiten 1/2023 S. 12 – 14

Artikel und Updates zu unseren Forschungsprojekten

Forschungstag SFU Linz 09.-10.02. 2024

Aus dem Programmheft: Das Linzer Institut für Grundlagen- und Anwendungsforschung der Psychotherapiewissenschaft (LIGA) ist ein Forschungsinstitut der psychotherapiewissenschaftlichen Fakultät der SFU und organisiert, dokumentiert und kommuniziert die Forschungsleistungen des Linzer…
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Tagung der INFAP3

Mit einer Posterpräsentation zu unserer laufenden Studie nahmen wir an diesem Wochenende an einer Tagung der INFAP3 in Kooperation mit der Professur für Spiritual care der TU München (Prof. Dr.…
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